Strada Statale fatale. Spirito Santo in Spirituosen. Zeichen und Wunder.
Es hat den ganzen Tag geregnet und es regnet noch immer, als R., T. und ich mit unseren vollbepackten Reiserädern am späten Nachmittag die ansteigende Haupstraße von Bomba passieren. Es ist Anfang Oktober, in den Abruzzen ist es kalt und nass, das Wetter unbeständig. Wir wollen nur noch ans Meer und weiter nach Süden über den Gargano nach Bari. Seit Stunden begleitet uns die Strada Statale 652 di Fondo Valle Sangro, die das wunderschöne Tal des Sangro zerschneidet und auf hohen Stelzen dominiert.
An alimentari und macelleria vorbei entdecken wir die einzige geöffnete Bar im Ort. Für uns die letzte Möglichkeit noch einmal einzukehren, bevor wir die Berge hinter uns lassen und es sempre dritto Richtung Küste geht. Raggazzi – Facciamoci un bicchierino!
Aus einem Grappa werden zwei und der Wirt schenkt fleißig weiter nach. Das Blut fängt wieder an zu zirkulieren, ein durchdringendes Wärmegefühl breitet sich bis hinunter in die Füße aus. Der Grappa spricht zu uns und wir vertrauen ihm. „Verweile noch“, resta ancora, flüstert der Grappa, denn er will nicht noch woanders hin. Uns wird ganz warm ums Herz und die bislang ungeklärte Frage, wo wir heute übernachten werden, lässt nur eine Antwort zu: genau hier!
Ob jene Frau am Tresen, von der Susanne Fischer (oder war es Jenny Zylka?) schreibt, sie habe aus Übermut den kleinen Finger in ein Wurzelloch des Tresenholzes gesteckt und ihn anschließend nicht mehr herausbekommen, auch mit dem Grappa gesprochen hat? Andere Gäste kamen und gingen, sie aber habe aus Scham wie festgewachsen ausgeharrt. Zur Sperrstunde habe man sie dann heraus sägen müssen.
Etwas Ähnliches befürchtet wohl auch der Wirt. BUMM! Lautstark mischt sich die unaufschiebbare Frage nach der Übernachtung in unsere geistreiche Konversation. Auch der Hunger macht sich bemerkbar, die Zunge will nicht mehr so richtig, wie sie soll und muss doch die Lage klären.
Der Wirt ist ratlos: Übernachten in Bomba? Da müssten wir schon mindestens bis Saletti fahren oder gleich die Route bis ans Meer nehmen. Wir nehmen noch einen Grappa. Der Wirt überlegt: Es gebe da unten in der Nähe des Sees ein Ferienhaus, das gerade renoviert werde. Er könne nichts versprechen, aber mit etwas Glück seien die Besitzer noch bei der Arbeit. Vieni, Santo Spirito!
Die Höhenmeter, die wir vor ein paar Stunden so mühselig erklommen haben, purzeln wie von selbst. Kurz vor unserem Ziel unterqueren wir noch einmal die tagsüber so verfluchte Autobahn und sehen sie auf einmal in einem anderen Licht. Im Dunkeln und in der Not bietet sie ein trockenes Fleckchen Erde mit ausreichend Lärmabstand nach oben und also einen veritablen Plan B. Ein Zeichen! Oder: Auf den Blickwinkel kommt es an!
Und wer einen Plan B hat, braucht sich um Plan A keine Sorgen zu machen, kleingläubige Einwände werden kurzerhand falsifiziert: Im Ferienhaus brennt Licht, es wird tatsächlich noch gearbeitet. Hat der Wirt dort angerufen? Fast scheint es, als habe man bereits auf uns gewartet. Wir dürfen unsere Isomatten auf dem Boden ausbreiten, genießen eine heiße Dusche und ein warmes Essen bekommen wir auch. Es ist das Paradies auf Erden: Satt und warm und trocken fallen wir in einen tiefen Schlaf.
Quindi: Ascoltiamo ai suggerimenti dello Spirito Santo. – Höre auf die Eingebungen der Spirituose – zuweilen lässt sie (oder er) noch Zeichen und echte Wunder geschehen …
(Das Headerfoto ist natürlich nicht in den Abruzzen gemacht worden und schon gar nicht im Oktober. Eine Sommergeschichte: Wie ich einmal vor rund 25 Jahren mit Schlafzimmer und Küche am Vormittag den Wurzenpass und am Nachmittag den Triglav gefahren bin und mir dann im windgeblähten Höhenzelt eine so schwere Mittelohrentzündung zugezogen habe, dass ich am nächsten Tag ohnmächtig vom Rad gefallen bin. Jedenfalls beinahe …)
