Freiheit. Schlussendlich schussbereit. Verkehrsinselglück. Wohin mit dem Scheiß.
September 1997: Die Freiheit, unvernünftig zu sein, sich nicht festzulegen, spontan zu bleiben, wo es schön ist. Drei Wochen Rom – Abruzzen – Bari mit grob abgezirkelten Tagesetappen und auserwählten Sehenswürdigkeiten. Angefangen mit der nordöstlich von Rom gelegenen Villa Adriana, Sommerresidenz und Alterssitz des römischen Kaisers Hadrian, Unesco Weltkulturerbe seit 1999.
Wer Rom nach Osten verlässt, muss die Via Tiburtina nehmen – mit vollbepacktem Rad im römischen Feierabendverkehr ein lebensgefährliches Unterfangen. Der Randstreifen ist durchlöchert wie ein Schweizer Käse und der mangelnde Abstand besonders des Schwerlastverkehrs lässt keine Möglichkeit, den tiefen Schlaglöchern auszuweichen. Ein Wunder, dass noch keine Speiche bricht.
Aber das Glück scheint uns hold zu sein, denn auf der Suche nach einem Zeltplatz führt uns eine schmale Straße den Hügel hinauf, wo wir zwischen Bäumen eine verlockend grüne Wiese finden. Die Zelte sind schnell aufgebaut und wir fahren wieder hinunter in den Ort. Urlaub, ein traumhafter Zeltplatz, das Ende der nervenaufreibenden Anfahrt – das muss gefeiert werden! Spät rollen wir zurück und träumen uns bereits in den Schlaf, als wir in einer Kurve von der Polizei abgefangen werden, die offensichtlich nur auf uns gewartet hat. Und ja, wir wollen da hoch. Ja, wir wissen, dass Zelten auf Privatgrund verboten ist. Nein, DAS wir wussten nicht, dass das Privatgrund ist … Mit dem Versprechen, umgehend die Zelte abzubauen und einen neuen Schlafplatz zu suchen, dürfen wir weiterfahren.
Doch kaum ein paar Kurven weiter ist der Weg durch ein Gatter, das wir zuvor gar nicht bemerkt hatten, versperrt und dieses Gatter wird von einem grimmig dreinblickenden Mann bewacht, vermutlich der Eigentümer. Mit einem Auge blickt er durch das Zielfernrohr seines Gewehres, das genau auf uns gerichtet ist, den Finger am Abzug. Wir diskutieren vergeblich, der lässt uns hier nicht durch. Wir riskieren nicht noch einmal unser Leben und entscheiden nach einem kurzem Check der Möglichkeiten (durchwachte Nacht, Tod, Teufel), Verstärkung von unseren zwei Freunden zu holen.
Die Beamten auf der Wache sind nicht sonderlich erfreut, sich erneut um diese Lappalie kümmern zu müssen. Doch schließlich kann ich sie überzeugen, dass nicht nur unser Hab und Gut, sondern auch unser Leben ernsthaft in Gefahr ist. Sie eskortieren uns zurück zum Gatter, da hat sich das Studium der italienischen Sprache doch noch ausgezahlt. Der aufgebrachte Landbesitzer mit seinem schussbereiten Gewehr hat sich zurückgezogen, der Polizeiwagen steht mit laufendem Motor und eingeschaltetem Fernlicht vor dem geschlossenen Gatter, die Jungs brauchen ein halbe Ewigkeit zum Abbauen derZelte, während ich im lärmenden Scheinwerferlicht aufpasse, dass derweil niemand unsere Räder klaut.
Wenn wir gehofft hatten, dass wir anschließend frei unserer Wege fahren dürfen, so sahen wir uns getäuscht. Die zwei Poliziotti, die jetzt nicht mehr unsere Freunde sind, eskortieren uns zum einzigen Ort weit und breit, wo das Zelten erlaubt ist – der Schutthalde. Und wenn das Wünschen je geholfen haben würde, würde ich mir jetzt ein butterweiches Bett hergewünscht haben. Oder wenigstens ein bisschen Gras. Abrakadabra – der Untergrund bleibt abschüssig und steinig. Also fahren wir weiter, immer weiter, bis wir irgendwann vor der Villa Adriana gleichsam verenden. Und da – simsalabim – öffnet sich wie in 1001 Nacht inmitten der Busschleife vor uns eine begrünte Verkehrsinsel, eine tatsächlich mit gepflegtem Rasen ausgestattete Freifläche, die gerade groß genug für drei Isomatten und den ganzen Krempel ist … Na bitte, da hat das Wünschen ja doch noch geholfen.
Dem nächtlichen Regen geschuldet, werden wir nach kaum ein paar Stunden Schlaf früh vor dem Eintreffen des ersten Touristenbusses wach und können den Tag – nur von unseren zwei Bekannten aus den Augenwinkeln argwöhnisch beobachtet – mit einem echten Kaffee für hartgesottene World-by-Bicyclisten aus dem Trangia Sturmkocher beginnen. Für die Morgentoilette könnte die Villa dann ruhig ein bisschen früher öffnen, aber Katzenwäsche und Notdurft sind schließlich möglich.
Die Wasserkultur der Villa ist übrigens grandios. Am Canopus, dem antiken Pool, Ausblick auf den zweitschönsten A… der antiken Welt.* Wir sind in Latium. Das Abenteuer hat begonnen.
*Den schönsten hat natürlich Praxiteles’ Hermes (340 ante) in Olympia.