One size fits all.
Die Größentabelle im Shop zeigt neben “size” das bekannte Marssymbol aus kreisförmigem Schild mit aufragendem Pfeil. Das Beispiel-Trikot hat breite Schultern und schmale Hüften. Gibt’s das auch für Frauen? Das sei “praktisch unisize” lautet die euphemistische Antwort – Frauen bekommen den für Männer optimierten Schnitt als “unisize” verkauft. Das bedeutet, Trikots scheinen an den erhabenen Stellen weiß auf, haben im Achseldreieck zu viel Stoff und Hosen werfen Blasen im Schritt. Es bleibt also beim Finisher-Trikot für die Transalp Mittenwald-Venedig.
Die Fahrradmitnahme im Regionalverkehr der Deutschen Bahn ist immer reine Glücksache. Im Fernverkehr wird das Reisen zu einer veritablen Belastungsprobe. Schon in Düsseldorf steht nur der halbe Zug auf dem Gleis, es fehlt unter anderem ein Fahrradabteil. Mein Stellplatz ist vorhanden und ich bin rechtzeitig da. Die restlichen freien Plätze werden unabhängig von der Reservierung schnell okkupiert – wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Wer aufgrund kürzerer Umstiegszeiten später am Gleis ist, hat trotz vorhandener Reservierung das Nachsehen und wird nicht mitgenommen.
Fahrgäste ohne Fahrrad sind klar im Vorteil, sie nehmen jeden verbliebenen Zentimeter ungefragt in Beschlag. Nicht nur der Zugführer ist maximal genervt. In Köln Deutz verweigert er die Weiterfahrt, bis alle Mitfahrenden ohne Sitzplatz ausgestiegen sind. Das heizt die Stimmung ein und verzögert die Weiterfahrt, funktioniert aber nicht. Niemand steigt freiwillig aus. In Ulm scheint eine Weiterfahrt unmöglich, weil der diensthabende Zugführer angeblich nicht zur Arbeit erschienen ist. Das Erreichen weiterer Anschlusszüge wird fraglich, ebenso eine Zielankunft noch am selben Tag. In München eskaliert die Situation kurzfristig, weil ich mit Fahrrad und Gepäck kompromisslos Durchlass einfordere. In Garmisch wird es nochmal spannend, weil nicht klar ist, ob ich im Schienen-Ersatz-Verkehr tatsächlich mitgenommen werde. Aber das klappt wider Erwarten vorzüglich: ein kleiner Transporter steht ausschließlich für Fahrräder zur Verfügung und fährt dem Bus bis Mittenwald hinterher. Prolog geschafft.
Es folgen sechs Etappen über die Ostalpen bis nach Venedig mit Zwischenstationen in Sölden, Bozen, Levico Terme, Moena und Feltre. Endlich das Timmelsjoch ohne Gepäck fahren, mit bergtauglicher Übersetzung und einer warmen Dusche am Abend. Kein Turmkochen mit dem Trangia sondern Essen à la carte und anschließend in ein weiches Bett fallen.
Anfängliche Bedenken ob des sportlichen Niveaus werden schnell ausgeräumt. Laufkilometer zählen offensichtlich doppelt und Intervalltraining macht den Unterschied. So bewege ich mich in einer insgesamt sehr kompakten Gruppe von fünf Männern und fünf Frauen im hinteren Vorderfeld. Passt. Das Tempo auf der Fläche ist moderat, am Berg und bei der Abfahrt heißt es “freie Fahrt” und zwischendurch gelegentlich auch. One size fits all.
Buchener Sattel (1256 m)
Aus Leutasch kommend nehmen wir den Buchener Sattel beinahe unbemerkt unter die Räder, begleitet anfangs von der wilden Leutascher Ache. Ja, es geht bergauf und der Sterne-Wellnessbereich in Sölden stimmt am späten Nachmittag auf Luxus-Urlaub ein. – Das Leben ist schön!
Passo Rombo (2509 m)
Es hat sich viel getan am Timmelsjoch seit jener regnerischen Alpenüberquerung mit 15 kg Gepäck: Sechs begehbare Skulpturen auf dem Weg zum Gipfel, eine neue Mautstation und ein Passmuseum für Motorradfreunde sind entstanden. Die schätzen die Hochalpenstraße ebenso wie die zahlreichen KFZ-Besitzer, die an uns vorbeibrausen und die Passhöhe bevölkern. Ich liebe die karge Landschaft der Zwischenabfahrt nach der Mautstation und die lange Gerade vor den letzten Kehren, wo die hingelagerten Kühe kaum vom Fels zu unterscheiden sind. In den Felswänden der Südostrampe Richtung St. Leonhard haben zahlreiche Wildblumen ihre Nische gefunden. – Glück muss man sich erarbeiten.
Passo Mendola (1363 m)
Immer am Fels entlang mit wunderbaren Aussichten ins Etschtal windet sich die Straße mit durchschnittlich 6,3 % recht gleichmäßig zur Passhöhe hinauf. Das Café Bellavista auf der Passhöhe bietet ebenfalls einen herrlichen Weitblick ins Tal und ist auch bei motorisierten Gästen sehr beliebt. – Mit Weitblick an der Felskante.
Passo Redebus (1455 m)
Unspektakulär ist dieser Pass und wenig befahren, genau deshalb aber lohnenswert. Eine lässige und schöne Auffahrt mit einer maximalen Steigerung von 13 %, wenig Kehren und schlichten Ausblicken. Wer kleine Sträßchen abseits der großen Routen sucht, sollte den Pass in Erwägung ziehen. – Mal richtig durchatmen.
Passo Rolle (1984 m)
Mit dem Passo Rolle streifen wir die Dolomiten-Region, haben aber leider keine Sicht auf die Felsformationen. Regen ist angesagt, die Palagruppe hüllt sich in Wolken. Die Abfahrt bietet trotzdem abwechslungsreiche Ausblicke auf die näher gelegenen Berge mit schroffen Felswänden und vorgelagerten gelbgrünen Wellen. – Der Mythos ruft.
Monte Tomba (852 m)
Warum auf der letzten Etappe noch den Monte Tomba bezwingen, wenn man ohne Umweg mehr Zeit in Venedig zur Verfügung hätte? Weil der Monte Tomba ruhig und herrlich grün ist. Die durchschnittliche Steigung von 7,9 % ist gut zu fahren, in der schwülen Mittagshitze werden die steilen Passagen von bis zu 16 % allerdings zu einer echten Herausforderung. – Schön, aber jetzt bitte Venedig!
Venezia (1 m)
Am Abend scheint Venedig bloße Party-Kulisse für die Menschenmassen, die lautstark durch die Gassen ziehen, das Handy im Anschlag. Die alten Wege finde ich nicht mehr oder nur in Teilen, die Stadt ist mir fremd geworden. Selbst der Rückweg zum Hotel wird knifflig, weil Piazza San Marco aufgrund eines Konzertes weiträumig abgesperrt ist.
Am Morgen danach zerfleddern Möwen auf den Tischen des Café Florian, was von der Nacht übrig blieb. Im schleierhaften Morgenlicht zeigt die Lagune ein mildes Sfumato und ist ganz sie selbst. – La Serenissima.
Easy going: Alles in allem eine entspannte Transalp der Luxusklasse, die Lust auf noch mehr Höhenmeter macht. Von wegen “Quäl dich!” Qualen habe ich erst im Anschluss erlitten, als der irgendwo aufgegriffene MRSA mich erst aus dem Sattel und dann von den Beinen holte. Aber das ist wieder eine andere Geschichte, von der ich noch gar nicht weiß, wie sie ausgeht.