Ob Dante, Goldoni oder Pirandello – die intellektuellen Höhenflüge eines Giorgio Padoan an der Università di Venezia sind legendär. Nach seinen Vorlesungen hat – behaupte ich – niemand Ca’ Foscari ohne Erkenntnisgewinn verlassen, nicht selten sogar mit Erkenntnisglück, verstanden als Koinzidenz von Einsicht und Gefühl. “Lezioni”, die in ihrer gedanklichen Schönheit an die schwungvollen Loopings der frühen Lichtskulpturen eines Lucio Fontana erinnern.
Weniger ätherisch, doch vergleichbar schwungvoll zeigt sich “Tiger & Turtle – Magic Mountain” von Heike Mutter und Ulrich Genth. 2011 auf einer Schlackedeponie im Duisburger Süden errichtet, besteht die Großskulptur aus einem 220 Meter langen Parcours, der den rasanten Schwüngen einer Achterbahn folgt.
Ihre Form ändert sich mit jedem Blickwinkel. Schon der Fußweg führt in Serpentinen die Halde hinauf, so dass sich hier mit jedem Schritt neue Anblicke ergeben. Mal dominiert ein riskantes Looping, dann wieder eine eher organisch anmutende Auffältelung gedachter Schwingen. Der Eindruck rasender Geschwindigkeit bleibt, vor allem aus der Ferne, konstant.
Mit dem Begehen der Skulptur wird dieser Eindruck unerwartet gebrochen: nicht der imaginierte Rollercoaster, sondern der eigene Körper mit seiner Beschränkung durch Trägheit, Schwerkraft und Schwindel bedingt die Geschwindigkeit. Die Enge des Parcours zwingt zu gemäßigtem Tempo, der starke Wind tut ein Übriges. Der verführerische höchste Punkt wird verweigert, denn das Looping ist nicht begehbar. Ein “frozen rollercoaster”.
So bleibt das Begehen der Skulptur ein widersprüchliches Erlebnis, geprägt von fiktiver Geschwindigkeit und faktischer Entschleunigung, gewünschter Schnellebigkeit und erzwungener Gelassenheit, ausgedehntem Weitblick und schwindelerregender Nahsicht, hochfliegenden Erwartungen und senkrechten Abstürzen. Eine vielversprechende Schönheit tollkühner Kapriolen, untrennbar verknüpft mit der Brisanz jäher Ausbremsung.