Kein Leben ohne Viren.
Vielleicht hätte ich neulich nach dem neblig-feuchten 20 km Sonntags-Lauf in den Baumbergen die durchgeschwitzen Laufshirts wechseln sollen, bevor ich noch einmal aufs Fahrrad umgestiegen bin. Vielleicht hätte ich zwei Tage später eine wärmere Jacke einplanen sollen und vielleicht wäre trotzdem alles gut gegangen, wenn ich nicht die ganze Woche im Büro in Zugluft hätte sitzen müssen und dann auch noch die Heizung im IC nach Mannheim ausgefallen wäre.
So aber hat mich nach eineinhalb Jahren fernab jeglicher Krankheitskeime in meinem geschützten Elfenbeintürmchen erstmals wieder ein Virus niedergestreckt. Anderthalb Jahre, die ich zwar isoliert, ansonsten aber in bester Gesundheit verbracht habe. Und dann das: Husten, Schnupfen, Krächzen. SARS-CoV-2? Undenkbar. Ich halte Abstand. Ich wasche mir die Hände. Ich trage eine Maske. Ich bin geimpft und fahre trotzdem nicht mit dem Bus nach Coerde.
Der Hausarztpraxis meines Vertrauens ist das egal. Grippale Infekte welcher Art auch immer werden draußen vor der Tür abgefertigt. Die Symptome sind bereits am frühen Morgen telefonisch abgefragt worden, kommen darf ich jedoch erst nach Schließung der Sprechstunde und hineingelassen werde ich trotzdem nicht. Sobald ich vor der Tür stehe, muss ich telefonisch Bescheid geben. Die Sprechstundenhilfe liest daraufhin die Krankenkassenkarte vor der Tür ein, kommt ein zweites Mal und weist mir den Weg ums Haus herum zur Hintertür.
Ein ausrangierter Gartenstuhl markiert den Wartebereich. Mein Bedarf an Blasenentzündungen ist gedeckt, ich warte im Stehen, bis ein Mann vom Gartenbauamt aus der Terassentür tritt. Eingepackt in einen gasdichten Schutzanzug, den Kanister mit dem Virenvernichtungsmittel in seiner rechten Hand parat. Gleich wird er den Sprühkopf öffnen und im Umkreis von fünf Metern das komplette Vivarium biologischer Entitäten töten. Und mich gleich mit.
Der vermeintliche Gärtner entpuppt sich zwar als Arzt, allerdings als genau jener, der mir nach meiner zweiten Schulter-OP ein wenig ungeübt die Fäden zu ziehen gezwungen war. Ein Schöngeist mit wenig Sinn für den Schorf der Nahkampfzone. Noch vor dem Abstrich streckt er mir die bereits präparierten Unterlagen für den Arbeitgeber entgegen, eine kurze Info, wo das Ergebnis des PCR-Tests abzurufen ist, anbei. Das war’s. Nicht mal ein Rezept. Nur den Tipp, mir noch ein Nasenspray zu besorgen und viel zu trinken. Und kein Wort zu vorsorglich zu unterlassenden Handlungen.
Das wirft Fragen auf. Darf ich mir noch persönlich in der Apotheke ein Nasenspray besorgen, bevor ich – womöglich – Besuch vom Gesundheitsamt erhalte? Müsste ich nicht das Ergebnis des Tests abwarten? Auch wenn das bis zu 49 Stunden dauern wird?
Hm. Eine Wahrscheinlichkeitsprüfung ist in diesem Fall so sinnlos wie eine Risikoabwägung. Aber solange das Virus nicht nachgewiesen ist, kann mich niemand in Quarantäne zwingen. Die Nasenschleimhäute sind geschwollen und der Kühlschrank ist leer. Es siegt ein egoistischer Selbsterhaltungstrieb und das bekannte Gefühl für die üblichen Symptome einer harmlosen Erkältung. Ich gehe undercover Einkaufen und auch in die Apotheke. Und dann in die freiwillige Selbstisolation. So viel Freiheit muss sein.