700 Kisten Nachlass und eine Dokumentation über Leni Riefenstahl: “Riefenstahl” von Andreas Veiel (Regie) und Sandra Maischberger (Produktion).
Zwei Filme über zwei künstlerisch tätige Frauen derselben Generation, deren Antagonismus sich durch eine zufällige geografische Koinzidenz treffend auf den Punkt bringen lässt: Die eine, Lee Miller (1907-1977), wichtige Vertreterin der surrealistischen Fotografie, dokumentiert als Kriegsreporterin am 29. April 1945 die Befreiung des Konzentrationslagers Dachau durch die 7. Division der US Army. Die andere, Leni Riefenstahl (1902-2003), umstrittene Filmemacherin im Dienste des Nazi-Regimes wird wenig später von eben dieser amerikanischen Division in Dachau zu ihrer Verstrickung in den Nationalsozialismus verhört.
Leni Riefenstahl wird als bloße “Mitläuferin” eingestuft. Nach dem Krieg hat sie, die bei Nazi-Größen ein und aus ging und zu Hitler eine freundschaftliche Beziehung pflegte, stets behauptet, ihr sei es immer nur um die Kunst gegangen. In Interviews hat sie jegliche Verantwortung weit von sich gewiesen, strikt geleugnet, von Konzentrationslagern gewusst zu haben und auch gerne die Opferrolle für sich in Anspruch genommen. Riefenstahl” zeigt, dass die umstrittene Regisseurin mehr als eine Mitläuferin war.
“Ich habe keine Scheußlichkeiten überhaupt gesehen”
Für ihren Film haben Veiel und Maischberger 700 Kisten Nachlass mit Bildern, Filmen und Audio-Mitschnitten gesichtet, die Riefenstahl über Jahre hinweg akribisch gesammelt hat. Ziel war es, dem Bild, das Riefenstahl von sich selbst konstruiert hat, eine kritische Perspektive entgegenzusetzen.
Die Dokumentation zeigt Riefenstahl in alten Fernsehmitschnitten kooperativ, so lange ihr uneingeschränkt Raum gegeben wird, dagegen uneinsichtig und aufbrausend, sobald sie mit Widersprüchen konfrontiert wird. In geschickter Montage kombiniert Veiel Aussagen von Riefenstahl mit Bildern, die das Gegenteil beweisen.
Wir sehen eine erfolgshungrige junge Frau, die für ihre künstlerische Karriere alles um sich herum instrumentalisiert. Die für ihren in den Kriegsjahren entstandenen Film “Tiefland” Sinti und Roma aus Zwangslagern rekrutiert, von denen die meisten anschließend in Auschwitz ermordet werden. Riefenstahl selbst hat immer behauptet, alle Kinder aus “Tiefland” nach dem Krieg unversehrt wiedergesehen zu haben.
Glaubt sie eigentlich selbst, was sie da sagt?
Meisterin der Legendenbildung
Riefenstahl ist eine Schauspielerin, sagen Maischberger und Veiel, eine Schauspielerin mit gutem Instinkt für die jeweils passende Rolle. Und Riefenstahl ist auch eine versierte Regisseurin, die an ihrem Bild für die Nachwelt mit ebensolchem Gestaltungswillen gearbeitet hat wie einst an ihren Propagandafilmen.
“Die Ästhetik Riefenstahls ist gegenwärtig. Was, wenn die dahinterstehenden Ideale auch gegenwärtig sind?”
Sandra Maischberger
Aber Ästhetik und Ideologie sind nicht zu trennen: Die Bilder der aus starker Untersicht aufgenommenen Sportler aus “Olympia” heroisieren die athletischen Körper und propagieren sehr bewusst das nationalsozialistische Menschenbild. Dies zu zeigen ist auch ein Anliegen des Films, der damit zugleich eine Warnung sein will: Die Riefenstahl’sche Gesinnung erfährt – und das ist dann doch erschreckend – in alten Telefonmitschnitten viel Unterstützung. Gegen Ende des Films ist ein Anrufer zu hören, der Riefenstahl Mut zuspricht. “Lassen Sie sich von diesen Schweinen nicht unterkriegen!”, hört man den Anrufer sagen. In nur wenigen Generationen werde sich das aktuelle gesellschaftliche Chaos legen und es herrsche wieder “Anstand, Sitte und Moral”. Sich selbst entlarvend antwortet Riefenstahl: “Und das deutsche Volk hat ja die Anlage dazu.”