Ausschnitt eines Plakats zum Internationalen Frauentag aus dem Jahr 1914

#MessageToMySisters

Die Sache ist ganz einfach: man muss nur zählen.

Gib niemals auf, für das zu kämpfen, was du tun willst. Wo Leidenschaft und Inspiration ist, kann man nicht falsch liegen.
Ella Fitzgerald

Der Chef hat heute morgen demütig den symbolischen Hut gezogen, um anwesenden Frauen weltmännisch seine Reverenz zu erweisen. Eine Nettigkeit, kaufen kann ich mir davon nichts.

Mit einem Gender Pay Gap von 19 % ist Deutschland eines der Schlusslichter in Europa. In kaum einem anderen Land ist der Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen so hoch wie hierzulande. Aktuelle Studien belegen, dass die Diskriminierung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt bereits während des Bewerbungsverfahrens geschieht. Ein lediglich unterstellter Kinderwunsch seitens des Arbeitsgebers führt häufig zum Ausschluss der Bewerbung, ganz unabhängig von Berufserfahrung und Kompetenz der Bewerberin. Frauen müssen laut Studie um eine ganze Note besser sein als Männer, um als gleichwertig beurteilt zu werden! Frauen müssen rund ein Drittel mehr Bewerbungen schreiben, um überhaupt zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden.

Das korreliert mit meinen eigenen Erfahrungen. Hohe Erfolgsquote von Bewerbungsgesprächen hin oder her, um überhaupt eingeladen zu werden, habe ich mir trotz sehr gutem Studienabschluss und Auslandserfahrung die Finger wund schreiben müssen.1) Wie alt habe ich werden müssen, bis mir der erste unbefristete Arbeitsvertrag angeboten wurde? Jahre, in denen ich mich von einem Projekt zum nächsten, von einem befristeten Vertrag zum nächsten gehangelt habe. Jahre, in denen ich mit drei Jobs gleichzeitig jongliert habe, die trotzdem finanziell nichts einbrachten, obwohl die Steuererklärungen mit drei verschiedenen Veranlagungsarten stets eine Wissenschaft für sich waren. Jahre, in denen ich viel herumgekommen bin und Jahre, in denen ich verzweifelt viel unnützes Wissen angehäuft habe. Derweil die Männer um mich herum längst fest im Sattel saßen und Karriere machten.

Irgendwo auf dem Weg zwischen Unabhängigkeitsbestrebungen und Torschlusspanik ist auch der Nachwuchsgedanke auf der Strecke geblieben. Verschlissen von der fundamentalen Grundüberzeugung einerseits, ohne eine gesicherte Selbstversorgung sei alles nichts, und der desillusionierenden Realität mit ihren unsichtbaren wie unüberwindbaren Schranken andererseits.

Eines Tages auf dem Hochseil ohne Netz und doppelten Boden überholt dich dein eigenes Leben und du blickst erstaunt auf die flüchtigen Schatten – bis dir plötzlich alles um die Ohren fliegt.

Heute sind einige meiner Kolleginnen genau jene, die sich damals für Familie entschieden haben. Ergo hat die vermeintlich freie Entscheidung für oder gegen ein Modell auf dem Arbeitsmarkt de facto keine Rolle gespielt. Egal ob mit oder ohne Kind, Frauen im gebärfähigen Alter wurden und – schlimm genug – werden noch immer bei der Jobvergabe strukturell benachteiligt. Ein Vierteljahrhundert später treffen wir in einer etablierten Agentur mit Startup-Gehältern aufeinander und wissen aus Erfahrung, dass der Gender Pay Gap nicht nur eine Frage niedriger Stundenlöhne in frauenspezifischen Berufen ist oder eine männerdominierte Geheimhaltungsstrategie in Gehaltsfragen, sondern vor allem ein strukturelles Problem.

1) Interessant wären in diesem Zusammenhang empirisch valide Daten, in welchem Geschlechter-Verhältnis die Absolvent*innen eines Studienfaches mit deutlichem Frauenüberschuss und wenigen freien Stellen tatsächlich eingestellt werden. Gefühlt haben die 30 % männlichen Kunsthistoriker eines Jahrgangs 70 % der ausgeschriebenen Stellen besetzt.