Der Kölner Hauptbahnhof ist ein verrottetes Nadelöhr, das einen nie unversehrt entlässt. Dysfunktionalität und Improvisation auf allen Gleisen, und wer das als Pendler nicht akzeptiert, den bestraft der Alltag mit Wahnsinn. Jeder Berufspendler wird deshalb auch bestätigen, dass der folgende Auszug aus meinem Transit-Protokoll symptomatisch ist, nicht nur für den Sommer 2013.
Freitag, 14. Juni 2013
7:29 Uhr, Köln.
Auf dem Weg in die Online-Redaktion von Köln-Mühlheim nach Bonn-Mehlem 10 Minuten auf der Hohenzollernbrücke gestanden, weil Gleis 9 nicht frei ist. Störung im Betriebsablauf heißt das. Stehen wir nicht eigentlich jeden Tag auf der Hohenzollernbrücke? In Godesberg den Bus verpasst. Der nächste fährt 20 min später.
14:30 Uhr, Feierabend.
14:54 Uhr, Bahnhof Godesberg. Der Zug nach Köln hat 25 min Verspätung. Nur bis Bonn HBF gefahren und noch schnell einige Besorgungen gemacht, um den Zug eine Stunde später zu nehmen.
15:01 Uhr, HBF Bonn. Streckensperrung nach Köln aufgrund von Notfalleinsatz im Gleis. Der Bahnhof ist voller Menschen. Die lange Rampe zum Gleis der U-Bahn ist noch voller. Durchgeboxt. Die U-Bahn bis Köln Neumarkt genommen und mich an der oberen Haltestange aufgehängt. Die Luft reicht nicht zum Atmen, aber Umfallen kann man hier zum Glück auch nicht. Schade um die Erdbeeren. Drei Stunden später zu Hause gewesen. Dort gehört, dass Unbekannte einige Kabel am Stellwerk Kalk durchtrennt haben, wodurch auch alle Bahnen über Kalk ausgefallen sind.
Hassattacke gegen unbekannt. Messer gewetzt.
Montag, 17. Juni 2013
7:21 Uhr, Köln Mülheim. Der RE nach Remagen hat 25 min Verspätung. Um 7:24 Uhr die MRB genommen, die sogar in Mehlem hält. Auf diese Idee sind viele gekommen. Gestanden bis Bonn HBF, in Mehlem noch einen Fußweg von 15 min, weil der Firmennachbar die direkte Verbindungstraße überbaut hat.
Fit wie ein alter Turnbeutel. Und so rieche ich auch.
Mittwoch, 19. Juni 2013
8:14 Uhr, Bushaltestelle Bad Godesberg. Zwei Schulklassenverbände unterwegs mit Sportbeuteln – ihr Ziel ist mein Ziel, so viel steht fest. Vergebens strategisch günstig aufgestellt, denn der Bus fährt vorbei, weil bereits zwei Schulklassen DRIN sind und KEIN Gelenkbus eingesetzt wird.
Im Geiste den anwesenden Leerkörper vor den fahrenden Bus geschubst.
Donnerstag, 20. Juni 2013
Heute im bloß normalen Pendler-Verkehr die Firma in sagenhaften 1:45 h erreicht. Schon am frühen Morgen ziehen Gewitterwolken herauf, die sich noch vor der Mittagspause zum einem heftigen Sturm entwickeln, der gelb und mit viel Hagel in Bonn niederprasselt.
1. interne E-Mail: Die lieben Kollegen möchten bitte auf den Toilettengang verzichten, das Wasser stehe schon im Keller. Aushäusiger Toilettengang, verbunden mit Kantinenessen bei der AOK schräg gegenüber, sei leider auch nicht möglich.
2. interne E-Mail: Möglichst viele liebe Kollegen möchten doch bitte freiwillig Wasser schöpfen kommen. Und da stehen sie nun Kette am Treppenaufgang, die lieben Kollegen, während die Damen vom Empfang barfüßig im Wasser stehen und mit Schäufelchen das Wasser in Papierkörbe träufeln. Aber das ist erst der Anfang. Das ganze Archiv steht unter Wasser, Berge von Aktenordnern müssen zum Altpapiercontainer geschafft werden.
Existenzielle Bedürfnisse machen sich bemerkbar – und NEIN, sie brechen sich nicht Bahn …
16:30 Uhr, Firmengelände, Feierabend. Lederschuhe runiniert. Nass wie eine Archivakte den Heimweg angetreten. Wegen Überflutung der Unterführungen fährt mein Bus nicht. Zu Fuß nach Godesberg gelaufen. Zug verpasst, der nächste hat Verspätung. Muss nochmal umsteigen. In Anbetracht der Wetterlage in guten zwei Stunden zu Hause gewesen.
Brauche dringend Urlaub …
19:00 Uhr, Balkonien. Nummer drei der Auslands-Deutschen von nebenan versucht permanent, gegen den Willen seiner Mutter durch die Eisenstreben hindurch auf meinen Balkon zu gelangen. Ist ja hier auch viel mehr Platz … Der bigotte Nachbar von schräg oben glotzt auf mich herunter, als hätte er noch nie eine Frau gesehen. Dabei hat der doch Kinder … Die lautstarken Halbstarken aus dem Wettsalon im EG haben immer noch nicht gelernt, wie man Feuer macht. Obwohl die jeden Tag üben …
AAAAAAAAHHHHAAAAAAARRRRRRGGGRRRRIIIIIIIIIIIIIIIIII!!!
TARANTELLISISSIMAAAAAAAAAA: Mit dem Liegestuhl in der Hand dem plärrenden Balg mehrfach auf die Finger gehauen, Messer geholt, dem geilen Bock die Eier geköpft (danke, H.O., für die lehrreichen Trainings-Stunden im Speerwurf), Feuerlöscher entsichert und dem Pack da unten gezeigt, wie schnell das geht, wenn die Sicherung durchbrennt …
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Brauche dringend neue Nachbarn …