Lee Miller in Hitlers Badewanne

Lee Miller – Kriegsreporterin in Hitlers Badewanne

München, Prinzregenten­platz 16. Zerstörung. Befreiung. Sieger und Besiegte. Asche, Blut und Kot. (Schnitt)

Auf der dOCUMENTA (13) 2012 waren in einem kleinen Separé in der Rotunde des Fride­ricia­nums vier Schwarz-Weiß-Foto­grafien zu sehen, die Lee Miller (1907-1977) in Hitlers Bade­wanne sitzend zeigten. Die Foto­grafien gehörten zu einem En­semble von Por­traits und Selbst­portraits von Miller, weiteren Inte­rieurs aus Hitlers Woh­nung, Doku­mentar­auf­nahmen aus Kon­zen­trations­lagern und von zer­bombten deut­schen Städten. Daneben waren eine Parfüm­flasche und eine Puder­dose von Eva Braun zu sehen und ein Hand­tuch mit Hitlers Initialen. Die Zusammen­stellung irri­tierte: Warum werden im Jahr 2012 auf der Docu­menta Bilder aus den be­freiten Kon­zen­tra­tions­lagern gezeigt? Was macht Lee Miller in Hitlers Bade­wanne? Und was hat die Puder­dose von Eva Braun damit zu tun?

Das vergessene Oeuvre von Lee Miller

“Kein Deutscher, es sei denn, sie sind Wider­stands­kämpfer im Unter­grund oder In­sassen von Kon­zen­tra­tions­lagern, fin­det, dass Hitler irgend­etwas falsch gemacht habe, außer den Krieg zu ver­­lie­ren. Sie sagen nur: Er hätte Frieden schließen sollen, als der Russ­land­krieg ver­loren ging. Ich glaube nicht, dass sie je aus dieser Er­fah­rung lernen werden, und ich weiß, dass ich sie nie ver­stehen werde.”
Lee Miller

Die Aufnahmen ent­standen am Nach­mittag des 30. April 1945 in Hitlers Privat­woh­nung am Prinz­regenten­platz in München. Am Vor­mittag waren Lee Miller und David E. Scherman, beide als Kriegsberichterstatter für Vogue bzw. Life in Deutsch­land unter­wegs, im Kon­zen­tra­tions­lager Dachau gewesen. An­schließend ver­brachten sie einige Tage in der von der US Army besetzten Münchner Woh­nung. Es ist der­selbe Tag, an dem Hitler sich und Eva Braun das Leben nahm.

Millers Aufnahmen aus den Konzentrationslagern sind von der amerikanischen Vogue, wohin sie ihre Bilder mit dem flehentlichen Aufruf “Believe it!” sandte, 1945 gedruckt worden. In Europa blieben ihre Kriegsreportagen weitgehend unbekannt, da sie von ihrem eigentlichen Auftraggeber, der britischen Vogue, nie veröffentlicht wurden. Erst mit der Bearbeitung ihres Nachlasses, u. a. mit der Publikation “Lee Miller’s war” von Antony Penrose aus dem Jahr 1992, ist ihr Oeuvre einem größeren Publikum zugänglich geworden.

Kein Objekt ohne Subjekt

“Die Rotunde des Fride­ricianums ist ein asso­ziativer Raum der For­schung, in dem anstelle eines Kon­zepts eine Reihe von Kunst­werken, Ob­jekten und Doku­menten ver­sammelt sind.”
Begleitbuch, S. 24

Der Anknüpfungs­punkt für die dOCUMENTA (13) war das Leit­motiv der Aus­stellung, das zu­gleich den Ursprungs­gedanken der Documenta auf­griff: “Zusammen­bruch und Wieder­aufbau”. Im Fride­ricia­num, dem aus­gewies­enen “Brain” der Aus­stellung, stan­den Millers Foto­grafien und die erbeu­teten Gegen­stände exemp­larisch für grund­legende Fragen unserer Bezie­hung zu Objekten. Hat Lee Miller, so könnte man etwa fragen, aus prak­tischen Erwä­gun­gen heraus aus­gerechnet Hand­tuch, Par­fum und Puder gestoh­len? Was sagt dies über ihre (Nicht-)Beziehung zu Eva Braun und zum besieg­ten Dik­tator aus? Und begeg­nen heu­tige Betrachter*innen der Puder­dose von Eva Braun mit Gleich­gültig­keit oder viel­leicht doch mit einem kleinen Schauder?

Befreiung, Schuld und Trauma

“I was living in Hitler’s private apartment when his death was announced. It was midnight of May Day, it was snowing, we were celebrating being there anyhow and the dry, convincing voice of the BBC was just another vague rumour. Well alright. He was dead. He’d never really been alive for me until this day. He’d been an evil machine monster all these years, until I visited all the places he’d made famous, talking to the people who knew him, dug into backstairs gossip, and ate and slept in his house.”
Lee Miller

Die Aufnahmen mit ihren Acces­soires sind ins­zeniert, Miller und Scherman spielen mit Körper­haltung und Belich­tung. In der Dia­gonale zwischen einem “Führer”-Por­trait links und einer weib­lichen Skulp­tur rechts sitzt Lee Miller als Badende in der Wanne. Ihr aus­drucks­loser Blick geht am Betrach­ter vor­bei und die Bewe­gung des rechten Arms wirkt wie ver­gessen. Auf der Bade­matte haben die schmutzigen Stiefel ihre Spuren hinter­lassen, auf­fallend ist der starke Kontrast zu der strah­lend weißen Wanne. Die Stiefel stoßen hart an die Kante der Bade­wanne, stell­ver­tretend für den Betrach­ter am Wannen­rand und eine Ein­ladung, es Miller gleich zu tun: hinein­zu­schlüpfen und den Dreck ab­zu­streifen.

Inszeniert wird die Besitz­ergrei­fung der Privat­sphäre des besiegten Fein­des just an seinem Todes­tag. Darüber hinaus zeigt das ikonische Bild einen histo­rischen Moment, in dem Schuld, Befreiung und Trauma inein­ander fallen. Was Lee Miller am Vor­mittag in Dachau doku­men­tiert hat, wird sie für den Rest ihres Lebens nicht mehr los­lassen. Wir sehen eine trauma­tisierte Frau, deren Ver­such, den Horror ab­zu­waschen, ver­geb­lich bleiben muss. Die Bilder im Kopf lassen sich mit Seife nicht auslöschen. Der Begleittext erinnert in diesem Zusammenhang an den Sol­daten, von dem Walter Benjamin schrieb, er kehre vom Schlacht­feld “ver­stummt” zurück, “nicht reicher, ärmer an mit­teil­barer Erfah­rung”.

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