Debugging life: Einmal den Programmablauf am Breakpoint anhalten und ein paar Variablen korrigieren … Wird der überraschend heimgekehrte Ehemann den nur notdürftig unter einem Tischtuch versteckten Liebhaber seiner Frau entdecken? Ein paar Sequenzen bis zur entscheidenden Szene zurückspulen und noch einmal inszenieren …
Eine Zeitreise durch die Zeit
Was im echten Leben reiner Wunschtraum bleibt, lässt sich im Film mühelos realisieren.
William Kentridge hat das gesamte Liebieghaus in Frankfurt/M. zu seiner Bühne gemacht und nicht zufällig ist eines seiner Schlüsselwerke, “The Refusal of Time”, im großen Rom-Saal der Skulpturensammlung zu sehen. Die Installation wendet sich u.a. gegen einen technischen Zeitbegriff, der seinen Ursprung in der Neudefinition des Zeitbegriffes im römischen Reich findet. Die Mechanisierung der Zeit und ihre präzise Taktung, die unser heutiges Leben bestimmt, hat darüber hinaus eine machtpolitische Dimension, gegen die im Film eine jener wohlbekannten Schatten- Prozessionen aufbegehrt.
Die eingangs erwähnte Unumkehrbarkeit der Ereignis-Abfolge ist daher nur eines von vielen Zeitkonzepten, das in “The Refusal of Time” in Bildern gefasst über die Wände huscht und in Frage gestellt wird. Im Zentrum der Installation steht eine riesige (Zeit-)Maschine, die wie ein Webstuhl unablässig vor sich hin arbeitet. Die Filmbilder flimmern an drei Wänden über Skulpturen und Fragmente hinweg und überbrücken en passant eine Zeitspanne von mehr als 2000 Jahren (die Entstehungszeit der griechischen Originale mit eingerechnet). Zeit fliegt über die antiken Werke hinweg, macht sie zu Mitspielern der theaterhaften Inszenierung.
Und den Zuschauer gleich mit. Wie lange sind 2000 Jahre? Unvorstellbar lang und doch nur den einen Augenblick, in dem Filmbild und antiker Portraitkopf aufeinandertreffen. Zeit ist relativ – nicht nur ihre subjektive Wahrnehmung.
Wider den Maschinen-Rhythmus
Die Unmöglichkeit der Utopie und die Unmöglichkeit, keine Utopie zu haben – das beschäftigt mich seit langem.
William Kentridge
In der Mittelalterabteilung des Museums begegnen sich farbige Heiligenfiguren und Filmbilder mit der Ästhetik des frühen 20. Jahrhunderts – trifft mittelalterliche Frömmigkeit auf kommunistische Utopie.
Die Installation “O Sentimental Machine” zeigt in einer Guckkastenbühne zeitgleich verschiedene Originalaufnahmen von Leo Trotzki. Im Hauptfilm schlüpft Kentridge in die Rolle von Trotzki und karikiert mit pathetischen Gesten den Revolutionsführer und seine Utopie vom “Maschinenmenschen”, die im nachrevolutionären Russland sehr en vogue war.
Der Film spiegelt auch die intensive Arbeitsbeziehung zwischen Trotzki und seiner Sekretärin Evgenia Shelepina. Schon grotesk, wie – mit visuellen Anleihen im surrealistischen Film – der tadellos funktionierenden Mitarbeiterin mittels einer aberwitzigen Apparatur ein paar Tränen abgepresst werden, die sie aufgrund mangelnder Gefühlsregung selbst nicht mehr produzieren kann. Jenseits der Holzwand kontrastiert von den beinahe lebensgroßen Figuren einer mittelalterlichen Beweinungsgruppe, die den Gläubigen zum echten Mitfühlen aufruft.
Die Kunst der Inszenierung
William Kentridge bespielt noch bis 26.08.2018 das Liebieghaus mit über 80 Bildern, Filmen, Skulpturen und Installationen. Die vom Künstler, den Kuratoren und einer Bühnenbildnerin zusammengestellte Schau weist Querverbindungen auf, die manchmal so beiläufig daherkommen, dass man zweimal hinschauen muss, um die der Sammlung hinzugefügten Werkstücke überhaupt zu identifizieren. Immer entspannt sich ein intensiver Dialog zwischen alter und neuer Kunst. Eine grandiose Inszenierung über die Zeit und ein Metadiskurs über die Kunst der Inszenierung.