Wenn alle Jahre wieder “zwischen” den besinnlich-besinnungslosen Jahren der emotionale Overkill droht, hilft zur Bereinigung des Gefühlshaushaltes ein kurzer Blick zurück auf Michael Deans Beitrag Tender Tender zu den Skulpturprojekten 2017 in Münster.
Auf dem Recyclinghof abgelegter Gefühle
Was aussieht wie eine Baustelle, ist eine Baustelle. Symbolisch betrachtet. Ein Recyclinghof, auf dem sich der Künstler an starken Emotionen abarbeitet. Gleich Eingangs irritiert eine Reihe frischer Plastiktüten, beiläufig platziert und mit der ungewöhnlichen Aufschrift “YOUIL OVE” bedruckt. Darf man sich hier wie an der Gemüsetheke im Supermarkt bedienen? Ein strenger Blick des Wachpersonals verhindert den Zugriff (aber offensichtlich ist das Wachpersonal nicht immer so aufmerksam, wie ein späterer zweiter Besuch offenbart …).
Das Wesentliche: breitgetretene Betonfladen, die am Boden Wege und Inseln bilden, skurrile Formen und Gestalten, die sich aus fragilen Eisenstangen emporrecken.
Wut wächst zur Betonfaust geballt als Stachel am Kaktus, zum Meineid gekreuzte Finger sprießen wie Pilze überall empor. Schlaffe Luftballonherzen erinnern müde an die letzte Motto-Party.
Reste von Absperrband am Boden mit Aufschriften wie “FUCK“, “SAKE“, “SORRY” oder “TENDER TENDER” markieren optische und semantische Grenzen – und Grenzüberschreitungen. Die zahlreichen Bücherstapel suggerieren intellektuellen Anspruch, aber herausgerissene und zerknüllte Einzelseiten künden von einer schwierigen Beziehung zum Wort. Oder zum Gegenstand.
Fuck, Ilo vey
LLLLL. Vey ouil?
MMMMMMM. Ove.
LLLL. You?
MMMMMMM. Il! O’v youi loveyo.
LLLLL. Uil’ov y ouil. Oveyo il ov eyo uilo.
MMMMMMM. V eyo ui lo.
LLLLL. V eyou il ov.
Die auf einen Satz reduzierte Kernaussage (I love you – wahlweise Fuck you) wird in ihre Bestandteile zerlegt und die begrenzte Silben- bzw. Buchstabenauswahl immer wieder neu kombiniert.
So entsteht ein kryptischer Dialog, der zwar nicht wörtlich übersetzt werden kann, dessen simpler Code dennoch schnell entschlüsselt ist.
Die Musikalität sinnlosen Gestammels
Deans spielerisch dekonstruierender Umgang mit Sprache offenbart, dass auch bedeutungslose Wörter Sinnzusammenhänge stiften können. Gerade auch dann, wenn die Dialogpartner miteinander spielen, indem sie sich erfinderisch aus dem begrenzten Buchstabenfundus immer wieder neue Silben zuwerfen.
Mehr noch: Wo unverständliche Buchstabenkombinationen als Dialog inszeniert werden, tritt die musikalische Qualität der Sprache in den Vordergrund und rührt an emotionale Grundzustände. Hinzu kommt die optische Inszenierung auf dem Papier, die eine ganz eigene bildkünstlerische Qualität hat. Abhängig vom Standpunkt kann der Dialog auch als bloßes Gestammel interpretiert werden, bei dem die Dialogpartner einen ganzen Roman lang aneinander vorbeireden.
Go feeling
Darüber hinaus wird auch die plakative Verwendung der Sprache wird thematisiert, wenn die so häufig benutzten Wörter “Love“, “Tender“, “Sorry“, “Fuck” vom Künstler auf Stickern und Etiketten abermals reproduziert und der Massenverbreitung anheim gegeben werden.
Was wir am Ende im Plastikbeutel mit nach Hause nehmen? Von wegen “authentische” Gefühle: alles schon mal dagewesen, reproduziert, abgelegt, recycelt. Gehört zum Leben wie die Verdauung, ein irgendwie organischer Prozess. Und am Ende wird diese ganze Gefühlsausscheidung als Exkrement in Müllsäcken entsorgt. Wieder und immer wieder.
Trotzdem: Go feeling …