Ranga Yogeshwar diskutiert Big Data
Wie verändert Big Data unser Leben? Wie können wir unsere Privatsphäre in der digitalen Welt schützen? Fragen, die nach den Enthüllungen von Edward Snowden im öffentlichen Bewusstsein angekommen sind. Ranga Yogeshwar diskutierte hierüber am 22. Mai mit Markus Beckedahl, Timotheus Höttges, Jörn Müller-Quade und Caja Thimm im Forum der Bundeskunsthalle in Bonn. Am 27. Mai war „Die Macht der Daten“ dann ebenfalls Thema in seiner Sendung Quarks & Co mit dem Studiogast Frank Schirrmacher.
Digitale Welt unter Kontrolle?
Das Eingangsszenario ist allgegenwärtig: „Ich stimme zu“ – beispielsweise in sozialen Netzwerken und bei Apps – und hinterlasse permanent eine digitale Datenspur im Internet. Bedeutet diese digitale Datenspur das Ende meiner persönlichen Kontrolle der Privatheit? Mehr noch: die Summe der Daten lässt weitergehende Rückschlüsse auch auf zukünftiges Verhalten zu.
In Bonn jedoch lautete die Kernfrage des Abends: wie können wir die Kontrolle über unsere Daten zurückgewinnen?
Database Privacy
Den interessantesten Lösungsansatz hatte Krypto-Experte Müller-Quade. Wie kann es sein, so Müller-Quade, dass zwei anonymisierte Datenbanken miteinander abgeglichen de-anonymisiert werden können (wie z. B. der Netflix-Fall von 2007)?
“Erstaunlich, was durch das Zusammentragen einzelner Mosaiksteine erschlossen werden kann, wenn in der Menge der Daten Korrelationen sichtbar werden.” Jörn Müller-Quade
Hier liefert die Database Privacy laut Müller-Quade präzisere Begriffe für das, was wir preisgeben dürfen. Denn nur durch klare Begriffe und hinreichend präzise Maße für Privatheit sei eine Diskussion möglich.
Der relativ neue Forschungsansatz der Database Privacy fragt danach, wie eine bestimmte Art der Veröffentlichung die Privatsphäre der Personen in einer Datenbank gefährdet. Müller-Quade forscht unter anderem zum Thema der datenschutzkonformen Überwachung öffentlicher Räume. Am Kompetenzzentrum für angewandte Sicherheitstechnologie (KASTEL) in Karlsruhe arbeiten in diesem Zusammenhang Juristen und Informatiker gemeinsam an einem System, das die Datenschutzprinzipien bereits technisch umsetzt. (hierzu Müller-Quade ausführlicher in: Kursbuch 177)
Schengen-Routing
Netzaktivist Beckedahl forderte ebenso erwartungsgemäß eine Überarbeitung von Safe Harbor, eine aktuelle europäische Datenschutzrichtlinie und ein Recht auf Löschung der Daten wie der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Telekom AG Höttges für das Schengen-Routing plädierte. Unverständlicherweise erhielt er überproportional Gelegenheit dafür zu werben. Dagegen wies Beckedahl zu Recht auf den Widerspruch hin, dass die Telekom einerseits nationales Routing befürwortet, ihre Daten andererseits aber gerade nicht über den Frankfurter Knoten DE-CIX routet (ausführlicher hierzu auf netzpolitik.org). Und überhaupt müssten die Daten verschlüsselt werden.
Ende-zu-Ende-Verschlüsselung
Müller-Quade, der heimliche Star im Forum, gab zu bedenken, dass auch eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung die Metadaten nicht erfasse. Und lieferte die Perle des Abends, eine schöne Bob-und-Alice-Geschichte zur Erklärung der asymmetrischen Verschlüsselung (Bob schickt Alice eine nur für sie bestimmte Nachricht). Weil aber an dieser Stelle nicht mehr rekonstruiert werden kann, wie Bob garantieren konnte, dass der Bote (“Man-in-the-middle”) nie die Möglichkeit hatte, die Kiste zu öffnen (was eine Voraussetzung für die Sicherheit des Verfahrens ist), bleibt die Perle in der Muschel verschlossen.
Weibliche Bademode um 1920 und der Begriff der Privatheit
Am Ende des Abends blieb es Yogeshwars Geheimnis, was die Veränderung der weiblichen Bademode von 1920 bis heute mit der Transformation des Begriffes der Privatheit zu tun hat. Löste das anschauliche Bild mit den Töchtern des Moderators auch Entzücken beim Vorstandschef der Deutschen Telekom aus, die Diskutanten blieben die Antwort schuldig.
Nicht so Frank Schirrmacher ein paar Tage später bei Quarks & Co. Der musste sich zwar mit einem Aufguss der Fragen aus Bonn zufrieden geben, brachte aber dafür einige neue Aspekte in die Diskussion. So wies er beispielsweise auf einen fundamentalen Unterschied zwischen dem 20. und dem 21. Jahrhundert hin, der die freie Wahl des Menschen betreffe. Wohlgemerkt: des Menschen im 20. Jahrhundert. Denn im 21. Jahrhundert werde man gewissermaßen unfreiwillig entkleidet, so Schirrmacher. Das 21. Jahrhundert gefährde all die erreichten Dinge, da die Menschen an Wenige ihr ganzes Leben preisgäben, um ein paar kleine Incentives zu bekommen.
Digitale Prädestination
Die “Incentives” sind der Schlüsselreiz, wenn es um die freiwillige Datenhergabe geht. Die Gesamtheit der Daten wiederum ist mehr als die Summe ihrer Einzelteile, Big Data lässt Rückschlüsse auf zukünftiges Verhalten zu.
“Also es ist alles in einem Satz gesagt, den hat niemand Geringerer als der Google-Chef, der frühere Chef von Google, gesagt: ‘Wir wissen, was du tun wirst’ und dann hat er noch hinzugefügt: ‘sogar ehe du es selbst weißt’. Frank Schirrmacher
Der Sendung gebührt das Verdienst, in sehenswerten Einspielungen sowie im Gespräch, die Schicksalsmächtigkeit von Big-Data-Techniken in Szene gesetzt und als “digitale Prädestination” begrifflich gefasst zu haben.
Follow me
Die Talkreihe “Follow me” zur digitalen Gesellschaft ist von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und dem Kunstmuseum Bonn initiiert worden. Am 25. September geht es weiter mit dem Thema “Wikiwissen – Schein oder Sein?” und am 20. November mit “Intelligente Dinge – Helfer oder Herrschen?”.
Die sehenswerte Ausgabe “Die Macht der Daten” der Sendereihe “Quarks & Co” ist in der Mediathek des WDR noch erreichbar.