Lässt eine wachsende digitale Gesellschaft das Individuum verschwinden? Werden wir alle früher oder später von Maschinen ersetzt? Was bedeutet es, wenn das menschliche Gehirn sich langsamer entwickelt als die Software, die wir entwickeln? Im Rahmen der lit.COLOGNE diskutierten Frank Rieger und Miriam Meckel im COMEDIA Theater in der Kölner Südstadt über die Zukunft zunehmender Digitalisierung.
“Das menschliche Hirn entwickelt sich langsamer als die Software, die wir entwickeln, das heißt: wir werden immer besser verstanden.”
Mit dieser beängstigenden These eröffnet Frank Rieger, Sprecher des Chaos Computer Club, den Abend. Was passiert mit der Freiheit des Menschen bei der zunehmenden Digitalisierung? Mit dabei die Kommunikationswissenschaftlerin Miriam Meckel, kurzfristig abgesagt hat bedauerlicherweise Constanze Kurz.
Der Roboterjournalismus ist schon da
Ziemlich einig sind sich die Kontrahenten in der Kernthese, dass in nicht allzu ferner Zukunft Maschinen den Menschen auch in Bereichen ersetzen werden, die bislang als nicht automatisierbar gelten. Schon heute werden in den USA Drittligaspiele automatisiert geschrieben und kein Leser bemerke das, so Rieger.
Meckel denkt den Gedanken automatisierter Texterstellung zu Ende. Wenn irgendwann auch literarische Texte durch Maschinen geschaffen werden, entstehe Kultur durch die wiederholte Neuordnung eines “Datenbreies” und es komme nichts Neues mehr hinzu. Eine Entwicklung der digitalen Gesellschaft, deren Folgen auch jetzt schon zu beobachten seien und die in der so genannten Filter-Blase beschrieben wird: Durch die personalisierte Suche bei Facebook und Google bekomme man nur noch angeboten, was ins eigene Weltbild passe und verlerne, sich mit dem Kontroversen auseinanderzusetzen:
“Ich glaube, dass die Welt immer mehr wird wie ich, weil ich immer mehr Informationen wahrnehme, die zu mir passen. Wenn ich nicht bewusst danach suche, Anderes zu bekommen.”
Wie in ihrem kürzlich erschienen Buch Wir verschwinden betrachtet Meckel den Prozess unter philosophischem Blickwinkel, die wachsende digitale Gesellschaft bedrohe die Freiheit des Menschen.
Automatisierungsdividende für alle
Rieger hingegen betont die politische Dimension. Was machen wir mit den vielen Menschen, die zwangsläufig durch den Automatisierungsprozess freigesetzt werden? Rieger fordert eine Umverteilung der Gelder: die Automatisierungsdividende müsse allen zu Gute kommen. Diesen Denkprozess in Gang zu setzen, ist er angereist. Und dies kann auch als Resumee seinenes Buches Arbeitsfrei gelten, das er mit Constanze Kurz 2013 verfasst hat.
Ein inspirierender Abend, an dem ein charismatischer Frank Rieger eine sympathische Kommunikationswissenschaftlerin an die Wand spielt. Erstaunlicherweise gibt es am Signiertisch nur vor Miriam Meckel eine Warteschlange, noch dazu sind ihre Fans ausnahmslos weiblich. Ich stehe in der Schlange, weil ihr Buch nur 72 Seiten hat und 7,90 € kostet. Ob das generalisierbar ist?
Möglicherweise hat sie als Verfechterin des Mit-der-Hand Schreibens in ihr Moleskine Büchlein gepunktet, was Rieger für vorsintflutlichen Quatsch hält. So fragt M. M. auch geduldig nach dem Namen, bevor sie sorgfältig und doch unleserlich notiert: Für Name, Miriam Meckel, Köln, 20. März 2014. Zwischendurch springt sie auf, begrüßt Bekannte, unterhält sich kurz, die Schlange wird länger. Rieger hat unterdessen knapp und effektiv seinen Namen auf das Blatt gekritzelt. Dann langweilt er sich.
Sehr schöner Beitrag!
Das Thema “Automatisierungsdividende” hat mich auch nachdenklich gemacht: Nicht als „Bürgergeld 2.0“, sondern mit Hinblick auf die Arbeitslosigkeit durch Automatisierung – weil man 40 Prozent der Menschen “nicht mehr braucht”. Es gilt also, sinnstiftende Angebote zu schaffen.
Genau – danke für den Hinweis! Ein wichtiger Aspekt, den ich unterschlagen habe. Deshalb sei in diesem Zusammenhang auch nochmals auf die von Rieger erwähnte Studie “The future of employment: How susceptible are jobs to computerisation?” verwiesen.
Zu finden bei netzpolitik.org.